gannaca dialogue

Jan Müller-Schlösser hat vor fast 15 Jahren das DepotMandat bei der Stadtsparkasse Düsseldorf aufgebaut und leitet es heute im Bereich Private Banking | Vermögensmanagement. Im Mittelpunkt steht dabei ein Ansatz, der auf Klarheit und Unabhängigkeit beruht.
Jan Müller-Schlösser built up the DepotMandat at Stadtsparkasse Düsseldorf nearly 15 years ago and today leads it in the Private Banking | Wealth Management division. The focus is on an approach that is based on clarity and independence.
1. Beschleunigung sichtbar machen
gannaca: Immer mehr Studien zeigen: KI entwickelt sich schneller, als wir dachten. Viele Prognosen waren zu vorsichtig – die Realität war schneller. Wie verändert das Deinen Blick auf Zukunftsplanung im Finanzsektor?
Jan Müller-Schlösser:
Du sprichst die Kernherausforderung unserer Zeit an, denn KI entwickelt sich tatsächlich exponentiell schneller als selbst Experten prognostizierten. Ich habe meine Planungshorizonte daher drastisch verkürzt. Benötigten spürbare Evolutionen früher noch Jahre, geschieht dies mittlerweile in wenigen Monaten. Das bedeutet konkret: Weniger starre Systeme, mehr modulare Lösungen und permanente Lernbereitschaft. Die Kunden profitieren davon, wenn wir schneller auf Marktveränderungen reagieren können – sei es bei neuen Anlageklassen oder veränderten Risikobewertungen durch KI-gestützte Analysen. Die Frage lautet hier aus meiner Sicht vor allem: Wie wird sich das Beratungsgeschäft in den nächsten Jahren generell verändern, auch im Hinblick auf die immer weiter steigenden regulatorischen Anforderungen?
2. Grenzen der Vorhersage
gannaca: Ob Wissenschaftler oder Marktanalysten – Menschen neigen noch dazu, technologische Entwicklungen eher zu unterschätzen. Was bedeutet das für eine Branche, die auf Berechenbarkeit angewiesen ist?
Jan Müller-Schlösser:
Die systematische Unterschätzung technologischer Entwicklungen ist ein bekanntes Phänomen und für unsere Branche, die auf Berechenbarkeit setzt, ein echtes Problem. Ich löse das durch eine Doppelstrategie: Einerseits nutze ich bewährte Risikomanagement-Methoden für das Kerngeschäft, andererseits investiere ich gezielt in „Unberechenbarkeit“ – etwa durch Investitionen in ausgesuchte Spezialitäten oder beispielsweise Themenfonds zu disruptiven Technologien. Das ist ehrlicher gegenüber meinen Kunden als so zu tun, als könnte ich die Zukunft präzise vorhersagen. Gleichzeitig schaffe ich damit die notwendige Diversifikation gegen potenzielle Prognosefehler.
3. Intuition vs. Evidenz
gannaca: Traditionell verließ man sich im Banking stark auf Erfahrung und Bauchgefühl. Wenn aber die harten Fakten zeigen, dass die Realität komplexer und schneller ist – wie lässt sich diese Spannung auflösen?
Jan Müller-Schlösser:
Die Spannung löse ich nicht auf – ich nutze sie produktiv. Erfahrung und Bauchgefühl bleiben wertvoll für jede Kundenbeziehung und das Verständnis menschlicher Verhaltensmuster. Aber bei der Marktanalyse setze ich seit jeher auf klassisches Research und evidenzbasierte Daten, wobei beide Quellen mittlerweile auch in vielen Punkten durch KI unterstützt bzw. unterfüttert werden. Meine Intuition hilft mir zu verstehen, warum ein Kunde nachts nicht schlafen kann – die „kühlen“ Daten zeigen mir, welche Portfoliooptimierung seine Sorgen rational betrachtet reduzieren würde. Das Zusammenspiel macht den Unterschied – pure Technik ohne menschliche Komponente funktioniert bei vermögenden Kunden nicht.
4. Umgang mit Unsicherheit
gannaca: Wenn exponentielle Beschleunigung zur Normalität wird, wie können wir Stabilität schaffen, ohne uns in falscher Sicherheit zu wiegen?
Jan Müller-Schlösser:
Falsche Sicherheit ist definitiv gefährlicher als ehrlich kommunizierte Unsicherheit. Das haben selbst die jüngeren Kapitalmarktteilnehmer in 2008 durch die damalige Finanzmarktkrise gelernt und spätestens in 2020 durch die Corona-Pandemie abermals bestätigt bekommen. Ich schaffe Stabilität durch Transparenz: Meine Kunden wissen genau, was wir wissen und was wir nicht wissen. Praktisch bedeutet das robuste Portfoliostrukturen mit bewusst eingebauten „Überraschungsreserven“ und regelmäßige Überprüfungen im Sinne von Stresstest-Szenarien, die auch „Black Swan“-Ereignisse berücksichtigen. Echte Stabilität entsteht durch Anpassungsfähigkeit, nicht durch das Festhalten an überholten Modellen.
5. Konsequenzen für Strategien
gannaca: Was sind aus Deiner Sicht die praktischen Konsequenzen – nicht nur für Investitionen, sondern auch für das Vertrauen von Kunden in die Zukunftsfähigkeit ihrer Entscheidungen?
Jan Müller-Schlösser:
Die praktischen Konsequenzen: Nicht mehr in Unternehmen investieren, die KI ignorieren. Ich rate unseren Kunden zu einem Mindestanteil an „Zukunftsinvestments“, um an der Entwicklung zu partizipieren. Wichtiger noch: Ich kommuniziere offen, dass sich die Spielregeln permanent ändern und traditionelle Buy-and-Hold-Strategien auf den Prüfstand gehören. Das Vertrauen meiner Kunden gewinne ich nicht durch falsche Gewissheiten, sondern durch nachweisbare Lernfähigkeit und die Bereitschaft, auch unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Wer heute noch so tut, als könnte Banking ohne KI-Integration funktionieren, verliert kurz- bis mittelfristig nicht nur den technologischen Anschluss, sondern auch seine Glaubwürdigkeit.
1. Making acceleration visible
gannaca: More and more studies show: AI is developing faster than we thought. Many forecasts were too cautious – reality was faster. How does this change your view of future planning in the financial sector?
Jan Müller-Schlösser:
You are addressing the core challenge of our time, because AI is indeed developing exponentially faster than even experts predicted. I have therefore drastically shortened my planning horizons. Whereas noticeable evolutions used to take years, they now happen within just a few months. Concretely, this means fewer rigid systems, more modular solutions, and a permanent willingness to learn. Clients benefit from this when we can react more quickly to market changes – whether with new asset classes or with changed risk assessments through AI-supported analyses. The key question from my perspective is above all: How will the advisory business in general change in the coming years, also in view of the steadily increasing regulatory requirements?
2. Limits of prediction
gannaca: Whether scientists or market analysts – people still tend to underestimate technological developments. What does this mean for a sector that relies on predictability?
Jan Müller-Schlösser:
The systematic underestimation of technological developments is a well-known phenomenon and for our industry, which relies on predictability, a real problem. I solve this with a dual strategy: on the one hand, I use proven risk management methods for the core business, and on the other hand, I deliberately invest in “unpredictability” – for example through investments in selected specialties or in thematic funds focusing on disruptive technologies. This is more honest toward my clients than pretending I could predict the future precisely. At the same time, I thereby create the necessary diversification against potential forecasting errors.
3. Intuition vs. evidence
gannaca: Traditionally, banking relied heavily on experience and gut feeling. But when the hard facts show that reality is more complex and faster – how can this tension be resolved?
Jan Müller-Schlösser:
I do not resolve the tension – I use it productively. Experience and gut feeling remain valuable for every client relationship and for understanding human behavior patterns. But when it comes to market analysis, I have always relied on classic research and evidence-based data, with both sources now also supported or underpinned in many respects by AI. My intuition helps me understand why a client cannot sleep at night – the “cool” data show me which portfolio optimization would, from a rational perspective, reduce those worries. The interplay makes the difference – pure technology without the human component does not work with wealthy clients.
4. Dealing with uncertainty
gannaca: When exponential acceleration becomes the norm, how can we create stability without lulling ourselves into false security?
Jan Müller-Schlösser:
False security is definitely more dangerous than honestly communicated uncertainty. Even younger capital market participants learned this in 2008 through the financial crisis of the time, and at the latest in 2020 it was once again confirmed through the COVID-19 pandemic. I create stability through transparency: my clients know exactly what we know and what we do not know. In practice, this means robust portfolio structures with deliberately built-in “surprise reserves” and regular reviews in the form of stress test scenarios that also take “black swan” events into account. Real stability arises through adaptability, not through clinging to outdated models.
5. Strategic consequences
gannaca: From your perspective, what are the practical consequences – not only for investments, but also for clients’ confidence in the future viability of their decisions?
Jan Müller-Schlösser:
The practical consequences: no longer investing in companies that ignore AI. I advise our clients to have a minimum share of “future investments” in order to participate in developments. More importantly, I openly communicate that the rules of the game are changing permanently and that traditional buy-and-hold strategies need to be re-examined. I do not gain the trust of my clients through false certainties, but through demonstrable learning ability and the willingness to express uncomfortable truths as well. Anyone who still pretends today that banking can function without AI integration will, in the short to medium term, lose not only technological connection but also credibility.